Als meine Mutter ihre Küche nicht mehr fand – Rezension

»Die Erinnerung«, schrieb Jean Paul, »ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können.« Denkste, Jean Paul, denkste!

Sie vergaß PIN-Nummern, wohin sie ihr Brillenetui gelegt hatte. Das kenne wir alle. Doch eines Tages vergisst Jörn Klares Mutter den Weg aus dem Wohnzimmer in ihre Küche. Diagnose: Demenz. Mit dieser Situation müssen nun alle lernen umzugehen: Mutter, Söhne, Enkeltochter, Umfeld. »Als meine Mutter ihre Küche nicht mehr fand« dokumentiert Klares Versuch, Demenz zu verstehen und einen passenden Umgang mit seiner Mutter zu finden.

Das Buchcover zu Als meine Mutter ihre Küche nicht mehr fandEr stellt sich Fragen, stellt anderen Fragen, stellt sich infrage. Das Sachbuch ist ehrlich und geht nah, denn es wird klar: von Demenz können wir alle direkt oder indirekt betroffen sein. Viele Forscher meinen, es sei nur eine Frage des langen Lebens bis wir alle entsprechende Symptome zeigten.

Klare konstruiert eine starke Erzählung, in der sich Alltagsbeobachtungen aus den Besuchen bei seiner dementen Mutter, liebevoll zusammengestellte Experteninterviews und Ausschnitte, aus einem Biografie-Interview mit der Mutter, das er zehn Jahre vor der Demenzdiagnose für seine Tochter aufgenommen hat (was für eine grandiose Idee!) abwechseln und ineinanderschieben. Ein Buch, das aufrüttelt und, besonders auf den letzten Seiten, zu Tränen rührt.

Für The Other Side habe ich mit Yannic Hannebohn Jörn Klare zu seinem Theaterstück »Der frühe Hase fängt die Axt« interviewt. Fiktion und Wirklichkeit, Jörn Klare widmet sich beim Thema Demenz beiden Genres. Da es im Radiointerview besonders ums Theater ging, wollte ich an dieser Stelle noch einmal gesondert auf das Sachbuch hinweisen. Eine andere Textgattung, die sich nicht minder spannend liest.

Jörn Klare: Als meine Mutter ihre Küche nicht mehr fand. Vom Wert des Lebens mit Demenz, Berlin 2012.