Schlagwort-Archiv: Roman

In Deinen Mund gedacht

Als Kind war ich gefangen in der Virtual Reality. Die quadratischen Pflastersteine des Gehwegs waren entweder sichere Stege oder auf keinen Fall zu betreten – je nachdem ob sie hellgrau oder bläulich dunkelgrau waren. Wovon die Gefahr ausging – waren es Krokodile? – ich weiß es nicht mehr. Fest eingeprägt hat sich bei mir aber, die hellen Steine zu überspringen oder einen Umweg in Kauf zu nehmen, damit meine Sohlen auch ja nur die dunklen Steine berühren.

Buchcover "Nachts die Schatten" von Helwig ArenzKinderphantasien sind toll, weil es niemandem etwas ausmacht, dass sie objektiv unwahr sind. Nachts die Schatten von Helwig Arenz ist toll, weil es nichts ausmacht, wenn die Erzählerstimme plötzlich
offensichtlich Unwahres berichtet. Die Übergänge zwischen Real- und Phantasiewelt sind sogar die besten Stellen des Romans.

Georg ist ein Pubertierender. Er ist ein stiller, ein unsicherer Jugendlicher. Er entdeckt seine Sexualität, hat mal hilfreiche, mal anstrengende Brüder und seine Eltern sind seltsam – klassische Coming-of-Age-Themen. Mich hat nicht sosehr der Plot gefesselt, sondern eher einzelne Szenen. Als zum Beispiel der Vater einen Gedanken in den offenen Mund der Mutter hineindenkt. Oder als Georg mit dem Auge scharfstellt und mit dem Herz abdrückt. Michel Gondry mit seinen extravaganten Kulissen und Requisiten wäre der richtige, um diesen Roman zu verfilmen.

Ein Roman mit viel Feingefühl, ein guter Beobachter der menschlichen Unsicherheiten. Über die ein oder andere Länge muss man hinweglesen. Aber das gelingt.

Soll ich jetzt noch erzählen wie ich Gedankenphotos schieße? Ein andermal vielleicht.

Helwig Arenz – Nachts die Schatten, Cadolzburg 2017.

Ein Satz hinter 200 Seiten

Iwan Weidmanns Roman Ante Finem begleitet Karl bei seinem letzten Tag. Und erzählt dessen ganzes Leben. Und das Leben Sophies, seiner Frau. Eine Buchvorstellung.

Musik: Orchestra of Art (Lizenz: CC BY-NC-SA). Danke an Klaus Roth fürs Einsprechen der Romanausschnitte.
Diese Buchvorstellung steht ebenfalls unter einer CC BY-NC-SA-Lizenz.

Iwan Weidmann – Ante Finem, Berlin 2016.

Versteckspiel mit J.

Das Buchcover von Will Selfs Roman LeberknödelMit herzlichen und herzlosen Worten widmet sich Will Self in seinem neuen Roman Leberknödel dem Wert des Lebens mit Krankheit und der Ethik der Sterbehilfe. En passant bemerken Protagonistin und Lesende Parallelen zum Lebensweg eines großen irischen Autors. Oder nicht. Rezension.

Wer James’ Spuren weiter folgen möchte, findet in in diesem Essay weitere Ansatzpunkte.

Danke an Moritz Hartmann, der dem Roman seine Stimme geliehen hat.

Will Self – Leberknödel, Hamburg 2015.