Als Kind war ich gefangen in der Virtual Reality. Die quadratischen Pflastersteine des Gehwegs waren entweder sichere Stege oder auf keinen Fall zu betreten – je nachdem ob sie hellgrau oder bläulich dunkelgrau waren. Wovon die Gefahr ausging – waren es Krokodile? – ich weiß es nicht mehr. Fest eingeprägt hat sich bei mir aber, die hellen Steine zu überspringen oder einen Umweg in Kauf zu nehmen, damit meine Sohlen auch ja nur die dunklen Steine berühren.
Kinderphantasien sind toll, weil es niemandem etwas ausmacht, dass sie objektiv unwahr sind. Nachts die Schatten von Helwig Arenz ist toll, weil es nichts ausmacht, wenn die Erzählerstimme plötzlich
offensichtlich Unwahres berichtet. Die Übergänge zwischen Real- und Phantasiewelt sind sogar die besten Stellen des Romans.
Georg ist ein Pubertierender. Er ist ein stiller, ein unsicherer Jugendlicher. Er entdeckt seine Sexualität, hat mal hilfreiche, mal anstrengende Brüder und seine Eltern sind seltsam – klassische Coming-of-Age-Themen. Mich hat nicht sosehr der Plot gefesselt, sondern eher einzelne Szenen. Als zum Beispiel der Vater einen Gedanken in den offenen Mund der Mutter hineindenkt. Oder als Georg mit dem Auge scharfstellt und mit dem Herz abdrückt. Michel Gondry mit seinen extravaganten Kulissen und Requisiten wäre der richtige, um diesen Roman zu verfilmen.
Ein Roman mit viel Feingefühl, ein guter Beobachter der menschlichen Unsicherheiten. Über die ein oder andere Länge muss man hinweglesen. Aber das gelingt.
Soll ich jetzt noch erzählen wie ich Gedankenphotos schieße? Ein andermal vielleicht.