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Jana Kreisl im Park

Vielgeschichtig

Sie interessiert sich für die alltäglichen Außerordentlichkeiten. Für die Menschen, die ihr jeden Tag begegnen. Und für die Geschichten, die sie in sich tragen. Das Buchcover von Ton und ScherbenJana Kreisl findet Bilder, für diese Lebensgeschichten – zuletzt in ihrer grafischen Kurzgeschichte Ton und Scherben.

Ton und Scherben beginnt mit dem Verlieben einer jungen Frau in die Hände eines Kommilitonen und endet viel zu schnell. Ein dünner gehefteter Band, der eine Beziehung nacherzählt. Wer mehr über die Story wissen möchte, sollte das Buch lesen und keine Zusammenfassung.

Eine Geschichte, die Jana Kreisl nicht ganz zufällig gefunden hat. Sie war auf der Suche nach Geschichten, die es Wert sind, in Bild und Text erzählt zu werden. Dazu hat sie mit Seniorinnen Interviews geführt. Auch der Vorgängerband Erschreckende Normalität ist aus dieser Interviewreihe enstanden.

Ich habe mit Jana Kreisl einen Spaziergang im Park gemacht und dabei mit ihr über ihr Interesse an menschlichen Schicksalen gesprochen.

Jana Kreisl – Ton und Scherben, Berlin 2015.
Jana Kreisl – Erschreckende Normalität, Berlin 2015.

Eine Recherchegeschichte

Als ich letzte Woche vom Start der zweiten Serial-Staffel gehört habe, hat es keine fünf Minuten gedauert, bis die erste Folge auf meinem Abspielgerät war. Und dann… Dann habe ich die Episode nach 10 Minuten pausiert, um erst einmal ein Buch weiterzulesen.

Nicht, weil Serial jetzt so schlecht geworden ist. Es liegt am Buch. Darin sammelt die Autorin – keine Ermittlerin, keine Kriminalreporterin – Fakten oder… ich schreibe besser: Fäktchen und versucht ein möglichst schlüssiges Bild eines Mannes zu zeichnen. Sie erzählt eine Hochstaplergeschichte, wie es im Untertitel steht.

Godot hinter Gittern – BuchcoverErika Tophoven hat Karl Franz Lembke hinterherrecherchiert, einem Gefangenen, der 1953 in einer deutschen Strafanstalt Warten auf Godot übersetzt und auf die Laienbühne gebracht hat. Eine Inszenierung, die es in die Lokalpresse und in Becketts Briefkasten gebracht hat. Beide Männer, Lembke und Beckett, waren offenbar sehr interessiert am Anderen. Beide wollten einander treffen, doch dann hatte sich KFL plötzlich aus dem Staub gemacht und wart von SB nie gesehen.

Untertauchen – ein typisches Muster in Lembkes Biografie. Seine Geschichte als Beckett-Übersetzer und Gefängnisregisseur ist bekannt. Auch Erika Tophoven wurde sie vor vielen Jahren zum ersten Mal erzählt. Aus irgendeinem Grund hat ihr diese Geschichte vor ein paar Jahren nicht mehr gereicht und Tophoven wollte mehr wissen, über Karl Franz Lembke.

In Godot hinter Gittern ist Samuel Beckett nicht mehr als eine Nebenfigur, die nur im Prolog auftritt. Machen wir uns nichts vor: Die Theateraufführung in der Justizvollzugsanstalt ist eine besondere Episode in Lembkes Leben, aber eben nur eine Episode. Viele Jahre seines Lebens war der Wangerooger nämlich recht erfolgreich darin, das Auffliegen einer Lüge und das Absitzen einer Strafe zu vermeiden.

Heiratsschwindler, Grußbesteller, dann vom Untervertreter aufgestiegen zu einer leitenden Stellung bei der UNESCO – wer oder was ist er denn nun? Dr. med. Peter Holstenkamp? Professor Dr. Peter Lensky? Professor Ansorge oder Professor Niedermeier? Er prellt gutgläubige Leute um kleine Summen und große Träume, es scheint ihn nicht zu rühren. Wird er seine Spielchen noch lange so weitertreiben? Zunächst fährt er von Norden wieder gen Süden.

Erika Tophoven ist herumgefahren, hat herumgefragt, Akten gewälzt und abfotografiert. Wen hat der Ganove wann mit welcher Masche um wieviel Geld betrogen? Tophoven rekonstruiert in diesem Buch möglichst vollständig, akribisch und mit einer gewissen intimen Nähe zu Karl Franz Lembke dessen Leben und Gaunern. Etwa als sie sich ihn als eine Romanfigur Hans Falladas vorstellt. Oder als sie so sehr in seinem Kopf steckt, dass sie seiner Lügenlogik folgt und ausruft: »Unsinn, es war doch Professor Lensky von der Universität Greifswald, der Erna B. das Eheglück in Prien versprochen hatte. Jetzt haben wir es mit Professor Dumartin zu tun«.

Was Tophoven an Lembke so fasziniert? Ich bin nicht sicher. Was mich an KFL so fasziniert? Schwer in Worte zu fassen. Warum mich dieses Buch so sehr fesselt? Es ist wohl wie bei Serial: ich weiß nicht, warum ich mich gerade für diesen Menschen so sehr interessieren soll. Aber die Hartnäckigkeit der Recherche und der Ton der Erzählung, die machens.

Erika Tophoven – Godot hinter Gittern. Eine Hochstaplergeschichte, Berlin 2015.

Eine neue Geschichte aus zwei alten

Sie gehört zu den Klassikern. Mit dieser Frage werden Autorinnen und Autoren beständig gequält: Sagen Sie mal, wieviel von dem, was Sie da in Ihrem Roman schreiben, trifft denn auf Sie zu? Ist dBuchcoveras etwa ein autobiografisches Werk? Dabei erübrigt sich die Frage so oft.

Vielleicht stellt man sie auch nur der falschen Person. Jakob Hinrichs beantwortet in seiner neuen Graphic Novel Der Trinker diese Frage. Aber nicht für sich, sondern an Hans Falladas Statt. Und damit ist klar: Hinrichs Trinker ist mehr als eine bloße grafische Adaption des Textromans Der Trinker von Hans Fallada.

Im Trinker, Version 2 werden nämlich die Geschichten zweier Männer parallel erzählt: Die von Hans Fallada, alkohol- und drogenabhängiger Schriftsteller, der nach einem eskalierten Ehestreit mit Pistolenschuss in eine Haftanstalt eingewiesen wird. Und die von Erwin Sommer, einem alkoholkrankwerdenden Unternehmer, dem Protagonisten von Hans Falladas Der Trinker. Roman und Romanschreiber verschwimmen miteinander in diesem herrlichen grafischen Roman.

Ein Gespräch mit dem Autor Jakob Hinrichs:

Jakob Hinrichs – Hans Fallada, der Trinker, Berlin 2015.